Der FC Liverpool hat Tottenham Hotspur vergangenen Samstag im Champions-League- Finale mit 2:0 geschlagen. Der Sieg ist vor allem ein Sieg Jürgen Klopps und seines Systems gewesen. Auch und vor allem Agenturen können sehr viel von ihm lernen, glaubt Brian O'Connor von der Berliner Agentur Rethink. In seinem Gastbeitrag für HORIZONT Online erklärt er, was sich Kreativschmieden von ihm abschauen können.
Seit Oktober 2015 ist Jürgen Klopp Trainer des FC Liverpool. Er hat in dieser Zeit ein Weltklasse- Team geformt und ein ganzes Land beeindruckt. Spätestens seit dem Spiel am 7. Mai gegen den FC Barcelona, als seine Mannschaft im Rückspiel eine 0:3-Hinspielniederlage in ein 4:3 drehte und somit in das Finale der Champions League einzog, hat die Fußballwelt die letzte Bestätigung dafür bekommen, was der FC Liverpool derzeit ist: eine der begeisterndsten, rasantesten und zielstrebigsten Fußballmannschaften in Europa.
Als Klopp zum FC Liverpool kam, stellte er sich dort noch als "The Normal One" vor. Was er seitdem aus der bis dahin etwas angestaubten Marken FC Liverpool gemacht hat, ist allerdings alles andere als normal. Das "Manager Magazin" hat im Mai errechnet, dass der Umsatz der "Reds" seit der Verpflichtung von Klopp um 31 Prozent auf 514 Millionen Euro gestiegen ist. Der gesamte Marktwert des Clubs lag 2015 sogar 98 Prozent unter den aktuell rund 1,9 Milliarden Euro. Wenn es ein Rezept gibt, wie man dieses Modell auf heutige Agenturen oder Unternehmen übertragen könnte – man würde wahrscheinlich sehr viel Geld dafür ausgeben. Höchste Zeit also, sich die „Geheimformel“ Jürgen Klopps einmal genauer anzuschauen. Bei Jürgen Klopp geht es vor allem um eines: das System. Er verfolgt dabei einen radikal holistischen Ansatz, bei dem es um Bescheidenheit, Inspiration und wahnsinnig viel Teamspirit geht, weniger um einzelne Schlüsselspieler. Seine Mannschaft funktioniert als Team, weil er ein besonderes Gespür für die Zusammenstellung seines Teams mitbringt. Weil er sich selbst nicht so wichtig nimmt und es schafft, seine Mannschaft immer wieder zu motivieren.
Möchte man also eine Agentur aufbauen, die sich im Sinne Liverpools ständig weiterentwickelt, braucht es zunächst einmal eines: das richtige Team. Damit ein Team funktioniert, muss es divers sein. Ein Agenturchef muss in heutigen Zeiten deshalb vielmehr die Rolle eines Kurators, weniger die eines Chefs, einnehmen, der nach Gutsherrenart regiert. Er muss es schaffen, ein Team zusammenzustellen, in dem jedes Mitglied einen eigenen USP hat. Diesen USP zu entdecken, ihn zu formen, auf- und auszubauen – das ist die eigentliche Leistung, der eigentliche Mehrwert, den ein Agenturchef liefern muss.
Das ist der Grund, warum beispielsweise ein Virgil van Dijk erst unter Jürgen Klopp zu Höchstleistung aufläuft und Jürgen Klopp auch dann liefert, wenn die großen Stars verletzt sind – weil die Balance im Team stimmt. Dabei war der Transfer zu Beginn sehr umstritten, weil die enorme Summe von über 80 Millionen Euro, die Liverpool für van Dijk zahlte, sonst nur für spektakuläre Angriffsspieler geleistet wird. Aber es braucht genau diese Art von Investments, die einerseits voller Risiko sind, und andererseits ungeahnte Möglichkeiten eröffnen können, um neue Potentiale in tradierte Agentur-Strukturen zu überführen. Im ersten Moment erscheinen sie vollkommen verrückt, nur wenige Jahre später tätigt Jeder sie.
Mehrwert – den stiften Agenturen häufig über Ideen und somit über Kreativität. Kreativität und die daraus folgenden Awards sind die Währung von Agenturen. Und auch hier kann man von Jürgen Klopp Einiges lernen, denn Fußballer und Kreative sind in diesem Punkt nicht besonders verschieden. Sie brauchen das richtige Umfeld. In einem starren Korsett kann sich keine Kreativität entfalten. Es wird einen Grund haben, warum ein Spieler wie Mario Götze unter Klopp beim BVB funktionierte und als neue Hoffnung des Deutschen Fußball gefeiert wurde, bei Bayern München dann aber krachend scheiterte und nicht mehr über die so sehr umworbene Kreativität und Genialität verfügte.
Kreativität ist letzten Endes immer eine Interaktion mit Ideen. Sie ist ein kollaborativer Prozess, bei dem es vor allem darauf ankommt, einen kreativen Gedanken zu schützen und ihm Raum zu geben, ihn mit anderen zu teilen und zu entwickeln. Kreativität verlangt gegenseitige Inspiration. Für Agenturen bedeutet das, dass man Mitarbeitern ihren Freiraum geben muss. Wenn kollaborative Prozesse gefördert und nicht im Keim erstickt werden, können sie erfolgreich sein. Bekommen sie allerdings nicht den nötigen Freiraum, sich selbst zu entfalten, ergeht es ihnen wie Mario Götze: Sie vergeuden ihr Talent.
Nun ist es nicht so, dass ein Chef sich vollkommen zurücknehmen muss bzw. darf. Aber er muss die richtige Dosis finden. Wie ein Trainer am Spielfeldrand. Es sind zwei Seiten derselben Medaille. Der Unterschied zwischen Jürgen Klopp und Pep Guardiola ist ein ganz entscheidender: Während man Pep Guardiola als Perfektionisten bezeichnen kann, der alles bis in kleinste Detail minutiös plant und nichts dem Zufall überlässt, lässt Klopp seine Mannschaft drauf losrennen – natürlich nicht planlos, denn er gibt die Richtung vor und setzt die Leitplanken. Aber eben mit deutlich mehr Freiraum.
Er führt durch Verantwortung, indem er Verantwortung an seine Mitspieler abgibt und sie damit motiviert. Und somit eine der größten Hürden überwindet: Fehlende Loyalität. In einer Zeit, da Spieler im Laufe ihrer Karriere mehrfach das Trikot wechseln, schafft es Klopp, dass “seine” Spieler tatsächlich eine Beziehung zu “ihrem” Verein aufbauen. Und das gibt ihnen auch den Mut und die Portion Wahnsinn, ein 0:3 aus dem Hinspiel gegen Barcelona aufzuholen und wettzumachen. Genau diese Loyalität gilt es auch in Agenturen herzustellen. Sonst sehen wir das Offensichtliche: Man wechselt wegen 100 Euro Brutto den Job und verpasst es, im eigenen Verein, in der eigenen Agentur zu wachsen. Einem 0:3 läuft man mit voller Kraft nur für den eigenen Verein hinterher.
Pep Guardiola hingegen führt mit manischer Akribie. Er überlässt nichts dem Zufall und verhindert bisweilen Kreativität. Das kann auch funktionieren. Der Druck auf den Trainer – den Agenturchef – ist aber deutlich höher, weil die Last ungleicher verteilt ist. Und die Fehleranfälligkeit des Teams – der Agentur – deutlich größer. Letztendlich ist der Kurs von Klopp nachhaltiger: Seine Teams - einst Dortmund, heute Liverpools - sind kritikfähiger, selbstkritischer und verfügen über selbstreinigende Kräfte. Nicht umsonst hat Jürgen Klopp in den letzten vier Jahren so oft an Endspielen – also Awards – teilgenommen.
„Er führt durch Verantwortung, indem er Verantwortung an seine Mitspieler abgibt und sie damit motiviert. Und somit eine der größten Hürden überwindet: Fehlende Loyalität.“
Das sind im Großen und Ganzen die Zutaten eines Jürgen Klopp und wir können sie nahezu eins zu eins auf Agenturen übertragen. Aber es braucht am Ende diesen Typ Mensch, der andere Menschen lesen kann. Der sie bei ihrer Verantwortung packt. Der ihnen den nötigen Freiraum gibt und im richtigen Moment eingreift. Der leitet und lenkt, aber nicht bestimmt. Jemanden, der den Druck immer hochhalten kann.
Deshalb ist er derzeit einer der fähigstens und meistgefragten Trainer der Welt. Und würde in der privaten Wirtschaft wahrscheinlich von vielen Agenturen umworben werden. Dabei ist Klopp kein Opportunist: Er macht nichts, nur um sein Umfeld zufrieden- oder ruhigzustellen. Er schafft eine Organisationsstruktur, in der jeder weiß, was er zu leisten hat - und auch einen doppelten Boden, so dass Fehler durch Mitspieler, aber auch Trainer und Betreuer ausgeglichen werden können.
Was wäre, wenn Jürgen Klopp vergangen Samstag nicht gewonnen hätte, werden sich vermutlich Einige jetzt fragen. Das hätte an diesem Artikel und der Meinung über Jürgen Klopp nichts geändert. Ganz im Gegenteil. Es geht nicht ums Gewinnen. Es ween geht um die Art und Weise. Um das Wie. Jürgen Klopp wird nicht von Titeln angetrieben: „Wenn du nur mit dem Gewinn des Heiligen Grals zu motivieren bist, dann läuft etwas falsch bei dir. Wir wollen Spiele gewinnen, weil wir diese Reise mit den Fans genießen“, sagte er kürzlich in einem Interview. Genau das muss auch der Antrieb von Agenturen sein: Für das Produkt, die Idee und den Kunden zu brennen – nicht für einen Award.
Warum überhaupt der Vergleich zwischen einem Fußball-Team und Agenturen? Das Agentur- Geschäft ist heutzutage ebenso kompetitiv wie die Bundesliga oder die Premier League. Klassische Vergleiche, in denen man Agenturen mit traditionellen Unternehmen vergleichen würde, würden somit zwangsläufig scheitern.